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Die Lehre des Lebens
   


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Eine Erzählung über die erlebten schweren Jahre des 2. Weltkrieges,
die anschließende Gefangenschaft im fernen Sibirien
und die gewonnenen Erkenntnisse für das weitere Leben
von

Günther Lange.

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ZWEITER TEIL

 

Eine Stunde lang feuern die Geschütze aus allen Rohren. Dann wird die Meldung durchgegeben: ,,Feuer einstellen, alles fertigmachen zum Abmarsch!". Deutsche Infanterieeinheiten haben die polnischen Sicherheitsposten überrannt und sind bereits einige Kilometer auf polnischem Gebiet vorgedrungen. In unendlichen Kolonnen ziehen bald pferdebespannte Einheiten ostwärts. An der Übergangsstelle an der polnischen Grenze sind Schranken und Grenzmarkierungen aus dem Boden gerissen und das kleine Grenzhäuschen steht in Flammen. Seitwärts der schmalen Fahrstraße liegen die ersten erschossenen polnischen Soldaten im Straßengraben. Günther läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Ihm kommt dabei in den Sinn, daß diese ermordeten Soldaten Eltern, vielleicht Frauen und Kinder haben, zu denen sie niemals zurückkehren werden.

Es ist ein sehr sonniger, warmer Septemberanfang. Auf allen Straßen und Feldwegen ziehen Kolonnen deutscher Soldaten in Richtung Osten. Die Luft ist erfüllt vom Qualm brennender Dörfer und Städte und hohe Staubwolken steigen gen Himmel. Die polnischen Truppen können den Vormarsch der Deutschen nicht aufhalten. Sie weichen auf das östliche Ufer des Wartha-Flusses zurück und leisten hier den Eindringlingen heftigen Widerstand.

Wieder werden die Geschütze in Stellung gebracht und schon fliegen die todbringenden Granaten auf das östliche Ufer des Wartha-Flusses. 2 Tage dauert der erbitterte Kampf und dann setzen die deutschen Truppen ihren Vormarsch fort. Überall stehen Dörfer und kleine Städte in Flammen. Die einfachen Häuser, viele noch mit Schilf gedeckt, sind in kurzer Zeit ein Raub der Flammen. Die polnische Bevölkerung hat in der Mehrzahl die Ortschaften verlassen. Sie ist vor den deutschen Truppen geflüchtet. Nur ab und zu eilen Frauen, besonders Kinder, weglagernd durch die brennenden Straßen.

12 Tage dauert nun schon der Vormarsch auf polnisches Territorium. Fast 400 Kilometer ziehen die deutschen Truppen staubig und verdreckt ostwärts weiter. Türme und größere Häuser lassen erkennen, daß sich wieder eine Stadt nähert. Nach der Karte müßte es Kutno sein. Bis nach Warschau sind es nur noch 250 Kilometer, so wird der Widerstand der polnischen Truppen immer heftiger. Günther und noch ein Soldat erhalten den Befehl, sich mit einem Funkgerät auf dem Abteilungsgefechtsstand zu melden. Mit dem 30 Kilo schweren Funkgerät auf dem Rücken, mit aufgesetztem Stahlhelm, Gewehr und Gasmaske eilen die beiden Soldaten durch die menschenleeren Straßen von Kutno. Auf einer leichten Anhöhe stehen einige mehrgeschossige Wohnhäuser. Auf dem Dachboden eines dieser Gebäude soll sich der Gefechtsstand befinden. Die Türen des Gebäudes sind eingeschlagen und die Wohnungen aufgebrochen. Keuchend eilen die beiden Funker die Treppe hinauf und erreichen endlich den Dachboden. Der Abteilungskommandeur, Major von Wolter, steht an einem kleinen geöffneten Dachfenster und sieht mit dem Fernglas über die kleine Stadt. Günther meldet als Truppführer: "Funktrupp wie befohlen zur Stelle!", der Major antwortet kurz und präzis: "Sofort Funkverbindung herstellen!". Der 50ig-jährige Kommandeur ist so ein richtiger Offizier preußischen Stiels. Klein von Gestalt, hat ein hageres Gesicht mit einer großen Adlernase. Im rechten Auge trägt er ein Monokel und spricht nur kurze Worte in Befehlsform. Da plötzlich gibt es nach vorherigem Pfeifen eine gewaltige Detonation. Dachziegel und Putz fallen herab und eine dicke Staubwolke zieht auf dem Dachboden entlang. Auf der anderen Seite des Gebäudes hat eine Granate eingeschlagen. Der Major ist in der finsteren Ecke des Dachfürsten in Deckung gegangen. Vor lauter Aufregung hat er jedoch seinen Monokel verloren. Mit Fluchen und Schimpfen suchen er und die beiden Funker vergeblich daß verlorene Augenglas. Der Ernst des Krieges zeigt jetzt sein wahres Gesicht. So entschließt sich der Kommandeur, diesen gefährlichen Beobachtungsstand schnellstens zu verlassen. Den beiden Funkern gibt er die Weisung zu bleiben und weitere Befehle abzuwarten. Schnellen Schrittes verläßt er den staubigen Dachboden.

Vom Dachbodenfenster aus kann man gut den größten Teil der Stadt überschauen. In etwa 300 Meter Entfernung liegt der kleine Marktplatz mit seinen niedrigen Häusern. Im Ostteil der Stadt stehen einige Gebäude in Flammen und noch immer ist Maschinengewehrfeuer zu hören. Nach einer Stunde wird folgender Funkspruch durchgegeben:

"Sofort Geräte abbauen und in 20 Minuten am Markt einfinden, der Vormarsch wird fortgesetzt.".

Auf der Straße zum Markt liegen die Kadaver toter Pferde und auf einem Panje-Wagen werden 3 getötete Zivilisten sichtbar. Die beiden Funker eilen Weiter und gelangen bald zum Marktplatz. Hier zeigt sich ein erschreckendes Bild. Auf dem Bürgersteig liegen in einer Vielzahl erschossene Juden in ihre schwarzen Umhänge gehüllt. Am Abend wird darüber näheres bekannt. Die Juden hatten sich beim Eindringen der deutschen Truppen in die Stadt in ihren schwarzen Kutten auf die Bordsteine rings um den Marktplatz gesetzt und mit erhobenen Händen die deutschen erwartet. Eine Einheit der SS-Division ,,Großdeutschland" hat mit Maschinengewehren die wehrlosen Menschen entgegen dem Völkerrecht erbarmungslos niedergeschossen. So manchem Soldaten überkommt das Grauen. Aber zum Nachdenken ist keine Zeit. Die einzelnen Truppenverbände formieren sich und schon geht der Vormarsch weiter. Der tiefe Sand, Wassermangel und Staub haben den Pferden arg mitgespielt. Viele hängen förmlich nur noch im Geschirr. Es wird daher befohlen, abzusitzen und die Pferde zu führen. Mühsam geht es auf den tiefzerfahrenen Sandwegen weiter. Trotzdem der Gegner kaum noch Widerstand leistet, werden täglich kaum 40 Kilometer in Richtung Warschau zurückgelegt. Nach 3 Tagen ist das Dorf Blonie an der Eisenbahnlinie nach Warschau erreicht. Bis zur Hauptstadt sind es nur noch reichlich 50 Kilometer. Noch immer hat Polen nicht kapituliert Warschau soll bis zum Letzten verteidigt werden. 3 Kilometer vor dem Stadtrand werden alle Geschütze in Stellung gebracht und am 20. September beginnt der Feuerschlag auf Warschau. In noch nie erlebtem Ausmaß fliegen Bomben und Granaten auf die Stadt nieder. Am Horizont steigen riesige Rauchschwaden in die Höhe. Am 21. September schweigen die Geschütze, denn die polnischen Truppen haben sich endgültig ergeben.


Günthers Artillerieeinheit wird am Rande der Stadt auf einer großen Domäne mit Ställen und Scheunen untergebracht. Soldaten und Pferde sollen sich von den Anstrengungen etwas erholen und die Ausrüstungen wieder instand setzen.

Tage nach Beendigung des Feldzuges findet auf einem freien Feld in der Nähe der Domäne ein Feldgottesdienst statt. Der größte Teil der Soldaten des Regimentes ist aufmarschiert. Wieder spricht in großen Worten der Regimentskommandeur von dem großen Werk unseres Führers und dankt für den Heldenmut der deutschen Soldaten. Dann werden die Stahlhelme abgenommen und der Regimentspfarrer spricht sein großes Gebet. Er dankt Gott, daß er den deutschen Truppen die Kraft gegeben hat zu siegen. Mit der Bitte, dem Führer weiterhin Gesundheit und Schutz für sein großes Werk zu geben, wird der Dankgottesdienst beendet.

Drei Tage später erfolgt auf einem großen Platz im Zentrum Warschaus die Siegesparade. Auf einem riesigen Podest haben Hitler, Göring, Goebels und Himmler sowie alle Generäle der beteiligten Truppenverbände Aufstellung genommen. Im Trab ziehen die pferdebespannten Einheiten, auch Günthers Artillerieregiment in exakter Formation an der Tribüne vorbei. Der Blitzkrieg über das benachbarte Polen geht im Siegestaumel damit zu Ende.

Bereits 1935 begann die Aufrüstung Deutschlands. Panzer, Flugzeuge, Geschütze und Kriegsschiffe verließen die Werkhallen bzw. Werften der großen Konzerne. 1936 wurde mit dem Bau des Westwalles begonnen. Zehntausende von Arbeitern, ausgerüstet mit modernster Technik, errichteten in den Bergen von Schwarzwald, Hunsrück und Eifel tiefgestaffelte uneinnehmbare Befestigungsanlagen aus Stahl und Beton. 1938 war der Bau abgeschlossen. Hitler plante bereits Mitte der dreißiger Jahre den Siegeszug gen Osten. Der Westwall sollte die Westgrenze Deutschlands gegenüber Frankreich und Belgien sichern.

Der Polenfeldzug war siegreich abgeschlossen. Viele Divisionen können somit noch im Herbst 1939 an die Westgrenze verlegt werden.

Am 10. Oktober 1939 marschiert Günthers Artillerieregiment vom Rande Warschaus nach Lodz. Geschütze, Pferde, sonstige Fahrzeuge und Soldaten werden verladen und bald rollt der Güterzug in Richtung Westen. Nach zweitägiger Fahrt quer durch Deutschland ist Cochem an der Mosel erreicht. Bei kaltem und regnerischen Wetter wird der Transportzug entladen. Nach vierstündiger harter Arbeit ist das Regiment marschbereit und schon ziehen die langen pferdebespannten Einheiten bergauf und bergab in dem hügligen Gelände der Eifel in Richtung Prüm. In dem kleinen Eifeldorf Leienkaul, 10 Kilometer von der belgischen Grenze entfernt, ist Endstation. Leienkaul ist ein kleines Bergdorf, das sich mehrere Kilometer auf einem Höhenzug erstreckt. Die Bewohner sind vorwiegend Kleinbauern und Häusler. Die Männer arbeiten in den Schieferbrüchen und die Frauen sowie Kinder bewirtschaften die bis 4 Hektar große Landwirtschaft. Soldaten und Pferde des Funkwagens, zu dem Günther gehört, werden in einem kleinen Gehöft am Anfang des Dorfes untergebracht. Die kleine Scheune schützt die 5 Pferde vor Regen, Kälte und Schnee. Im Wohngebäude ist jedoch keine Möglichkeit für die Einquartierung der Soldaten, da 2 Familien die wenigen Zimmer bewohnen. So bleibt der fünfköpfigen Wagenbesatzung nichts weiter übrig, als in der gleichen Scheune in unmittelbarer Nähe der Pferde im Stroh zu schlafen und sich auch dort vorwiegend aufzuhalten. Um einigermaßen die Nächte zu überstehen, baut sich jeder eine Schlafmulde im Stroh. Wenn es dunkel wird und die Pferde gefüttert und versorgt sind, verkriechen sich die Soldaten in Pferdedecken gehüllt in ihre Schlaflöcher. Unter sehr primitiven Verhältnissen eilen die Wochen im Fluge dahin. Anfang Monat Dezember zieht in den Bergen der Eifel der Winter ein. Es fallen ca. 10 Zentimeter Schnee und das Thermometer fällt auf Minus 18 Grad. Frierend verbringen die Soldaten die kalten Nächte. Es ist kaum noch auszuhalten. So kommt einer der Soldaten auf die Idee, sich gemeinsam in eine Strohmulde zu legen, mit den 5 Pferdedecken zuzudecken und sich so gegenseitig zu wärmen. Diese Methode hilft, in den kalten Nächten einigermaßen Ruhe zu finden. Der Tagesablauf ist eintönig und stumpfsinnig. Pferde tränken, füttern und putzen, Geschirr reinigen usw. sind die täglichen Arbeiten. Ab und zu gehen die Soldaten abwechselnd zur alten Oma ins Wohngebäude und wärmen sich für eine kurze Zeit auf. Unter diesen Bedingungen vergehen die Wintermonate 1939/40.

Anfang Monat März kündigt sich in den Eifelbergen der Frühling an. Die Sonne steigt höher. Gewaltmärsche und größere Übungen in den Bergen der Eifel bestimmen das Soldatenleben in den Monaten März und April. Anfang Mai 1940 kommt plötzlich der Befehl: "Alles fertigmachen zum Abmarsch!". Alle Ausrüstungen werden nochmals überprüft und dann beginnt in den Morgenstunden des 8. Mai der Abmarsch in Richtung luxemburgische Grenze. Keiner ahnt, was das bedeutet. Im Morgengrauen des 10. Mai beginnt der Überfall auf Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Hunderte Flugzeuge ziehen bombengeladen in Richtung Westen. Seitens Luxemburg gibt es keinerlei Widerstand. Günthers Artillerieeinheit marschiert über 50 Kilometer durch Dörfer und Städte in Richtung Frankreich. Auch die Franzosen leisten unmittelbar an der Grenze nur geringen Widerstand. Nördlich von Verdun bauen Pioniereinheiten eine Pontonbrücke über die Maas.

So können die pferdebespannten Artillerieregimenter weiter in Richtung Reims vorstoßen. An den Ausläufern der Argonnen sind noch die Schützengräben und Drahtverhaue aus dem sinnlosen 1. Weltkrieg zu sehen. Zehntausende deutscher Väter und Söhne haben vor 25 Jahren hier im Stellungskrieg ihr Leben gelassen.


Unter dem Druck der deutschen Truppen wird am 15. 5. die Stadt Reims eingenommen. Kolonialtruppen aus Vietnam, Algerien und Kamerun geraten in Gefangenschaft. Der weltbekannt Dom von Reims wird schwer beschädigt. Von hier marschiert Günthers Artillerieregiment nordwestwärts über St. Quentin, Arras, Lille bis zum belgischen Ostseebad Blankenberge. Hier ist erst einmal Endstation. Günthers Einheit wird im Stadtzentrum im Hotel "Roland" einquartiert. Durch die Einwirkung des Krieges stehen alle Hotels leer. Eigentümer sowie Dienstpersonal sind vor den deutschen Truppen geflohen. Im 10. Stockwerk eines großen Hotels, direkt an der Strandpromenade wird noch am gleichen Tag der Ankunft der Artilleriegefechtsstand eingerichtet. Mittels Scherenfernrohr muß Tag und Nacht die Nordsee in Richtung England beobachtet werden. Funkgeräte sowie 2 Fernsprechapparate werden aufgebaut und halten laufend Verbindung zum Abteilungs- sowie Regimentsstab. Günther, inzwischen zum Unteroffizier befördert, hat wöchentlich zweimal als Wachhabender auf dem Gefechtsstand Dienst zu leisten. Wenige Wochen später wird der Gefechtsstand in die Dünen, unmittelbar am Strand, verlegt.


Das Wachlokal bleibt jedoch im 10. Stock des bisherigen Hotels bestehen. Aller 2 Stunden hat der Wachhabende die Postenablösung im Gefechtsstand in den Dünen persönlich vorzunehmen. Der Gefechtsstand liegt etwa 2 Kilometer vom Wachlokal im Hochhaus entfernt.

Das Leben in Blankenberge verläuft gleichmäßig und eintönig dahin. Besondere Vorkommnisse gibt es nicht.

Ende Monat August 1940 ist Günther wieder als Wachhabender eingeteilt. Er bezieht mit 6 Posten das Wachlokal sowie den Gefechtsstand. Nachts 2 Uhr vollzieht Günther entsprechend der Wachdienstvorschrift die Postenablösung. Die 2 neuen Posten werden im Gefechtsstand eingewiesen und mit den Posten, die bereits den zweistündigen Dienst beendet haben, kehrt Günther in. das Wachlokal im Hotel zurück. Gegen 3.30 Uhr bricht plötzlich die Hölle los. Funkgerät und Telefonapparate treten in Tätigkeit. Der Regimentskommandeur hat in der Nacht mehrere Gefechtsstände kontrolliert. Bei Kontrolle des Gefechtsstandes von Günthers Einheit hat der Kommandeur die beiden Posten schlafenderweise vorgefunden.

Sie hatten die Gewehre an die Wand gestellt und sich in je eine Ecke des Gefechtsstandes zum Ausruhen hingesetzt. Selbst das Eintreten des Regimentskommandeurs hatten sie nicht bemerkt. Im Endergebnis muß sich Günther als Wachhabender und die 2 Posten mit aufgesetztem Stahlhelm am gleichen Tage beim Regimentskommandeur melden. Günther als Wachhabender erhält 6 Wochen und die 2 Posten je 4 Wochen verschärften Arrest.

2 Tage später muß die Strafe im Bunkerhaus in Blankenberge angetreten werden. Dieses Ereignis ist im Gedächtnis des Greisen besonders in Erinnerung geblieben.

Das Jahr 1940 eilt dahin. Vermutete englische Angriffe aus Richtung Nordsee sowie der Straße von Dover treten nicht ein. Im Januar 1941 wird die Artillerieeinheit in die Nähe von Dünkirchen (Frankreich) verlegt. Selbst bei stürmischem Wetter wird der Angriff auf England feldmarschmäßig geübt.


Pferde, Fahrzeuge, Geschütze und Soldaten werden auf Schiffe verladen. Unter Luftschutz fahren diese Schiffe auf hohe See der Straße von Dover und werden auf Landeschiffe (Elbschiffe mit aufklappbarem Heck) umgeladen. Diese Spezialwasserfahrzeuge sind für die Landung an der englischen Küste bestimmt. Über 2 Monate wird wöchentlich mehrmals das Umladen von pferdebespannten Einheiten geübt.

Im März 1941 wird plötzlich das geplante Vorhaben abgeblasen. Angeblich sei die Englandinvasion verraten worden. Günthers Artillerieregiment muß in Kürze alle Fahrzeuge feldmarschmäßig verpacken und schon beginnt der Gewaltmarsch gen Süden. Über Amiens, Evreux, Le-Mans, Tours bis Sants verläuft die Marschroute.


Während des Marsches wird bekannt, daß am 1. Juli 1941 Deutschland nun auch Rußland den Krieg erklärt hat. Auf breiter Front haben deutsche Truppen die russische Grenze überschritten und bewegen sich in Richtung Osten.

In einem kleinen Dorf, unmittelbar an der Demarkationslinie nördlich von Bordeaux wird Halt gemacht. Günthers Einheit wird zur Überwachung der Demarkationslinie eingesetzt. Zwischen Deutschland und dem kapitulierten Frankreich wurde vereinbart, daß ein etwa 100 Kilometer breiter Küstenstreifen längs des atlantischen Ozeans von deutschen Truppen besetzt bleibt. Täglich ist dieser Abschnitt aller 2 Stunden von berittenen Patrouillen zu kontrollieren. Auch Günther wird fast täglich zur Kontrolle des 20 Kilometer langen Abschnittes eingesetzt.


Dieser Dienst ist mit allerhand Gefahren verbunden. In Südfrankreich gibt es viele Partisanen, die auf die Patrouillen aus dem Hinterhalt das Feuer eröffnen. So mancher deutsche Soldat hat im besetzten Frankreich sein Leben eingebüßt.

So verläuft fast ein Tag wie der andere. Über 6 Monate gibt es keine besonderen Ereignisse. Patrouillenritte, Pferdepflege, kleine Gefechtsübungen usw., das ist der tägliche Ablauf.
Aufmerksam wird der Verlauf des Krieges an der Ostfront verfolgt.

Der Winter 1941/42 ist hier im Süden ausgesprochen mild. Nur an wenigen Tagen liegt einmal Schnee. Die Temperaturen schwanken zwischen 6 und 12 Grad Plus.

Ende April 1942 geht jedoch die verhältnismäßig ruhige Zeit im Süden Frankreichs zu Ende. Günthers Artillerieregiment wird auf Güterzüge verladen und damit beginnt eine Bahnfahrt quer durch Europa, von Südfrankreich bis nach Stalino im Donezbecken in Rußland. Die Erlebnisse dieser Bahnfahrt werden ewig in Erinnerung bleiben. Der Frühling hat in Frankreich die Landschaft mit einem Grün und dem Weiß der Baumblüte überzogen. Auch im Tal des sagenumwobenen Rheins ziehen zu beiden Seiten des Zuges die Bilder der vom Frühling bunt gemalten Landschaft vorüber. Ob in Hessen, Sachsen oder Schlesien winken Frauen, Kinder und Greise den nach Osten fahrenden Soldaten zu. Es wirkt wie ein Abschiedsgruß der Heimat. Keiner weiß, ob er sie einmal wiedersieht.

An der Grenze des besetzten Polens werden an der Bahnstrecke zerstörte Städte und Dörfer sichtbar. Die schrecklichen Bilder des erlebten Polenfeldzuges kommen wieder in Erinnerung. Der Truppentransportzug erreicht die Stadt Brest, die erste Stadt auf dem Territorium Rußlands. Zerstörte Industrieanlagen, gesprengte Brücken und in Flammen aufgegangene Stadtteile lassen die Soldaten ahnen was ihnen bevorsteht.

Nach einer Bahnfahrt von insgesamt 12 Tagen wird das Artillerieregiment am 10. Mai 1942 10 Kilometer westlich von Stalino ausgeladen. Noch am gleichen Tage marschiert die Einheit unmittelbar an die Front. In einem l0geschossigen Hochhaus am Ostrand von Stalino befindet sich der Artilleriegefechtsstand. Die russischen Truppen wollen ein weiteres Vordringen der Deutschen verhindern. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln leisten sie heftigen Widerstand. Beim Verlegen von Fernsprechkabeln sowie bei Aufbau der notwendigen Funkverbindung ist höchste Vorsicht geboten, denn nur etwa 500 Meter von hier entfernt liegen die Truppen der Roten Armee. Die kleinste Bewegung im Gelände wird Mg-Salven oder Granatwerferfeuer beantwortet. Der Krieg zeigt sich hier von der furchtbarsten Seite.

Wieder liegt der Funktrupp im Granatwerferfeuer. Günther ruft seinen Kameraden zu, in Bodenwellen Deckung zu suchen. Doch Horst Krüger, der zu seinem Funktrupp gehört hockt in gebeugter Stellung auf den Knien, nimmt seinen Rosenkranz aus der linken Brusttasche und beginnt ihn als strenger Katholik abzubeten. Plötzlich schlägt wenige Meter vor ihm eine Granate ein. Ein Splitter durchdringt seinen Stahlhelm und löscht sein junges Leben aus. Auf kleinen Panjewagen werden Verwundete nach Stalino gebracht und wenige Meter neben dem Gefechtsstand werden in Zeltbahnen eingehüllt, die vielen gefallenen deutschen Söhne in russischer Erde verscharrt. Fast 3 Wochen dauern die erbitterten Kämpfe bei Stalino. Anfang Juni 1942 durchbrechen deutsche Panzerverbände die russische Front. Um sich einer Umzingelung zu entziehen, weichen auch bei Stalino die russischen Truppen zurück. Für Günthers Regiment bedeutet das, in Gewaltmärschen bis 60 Kilometer täglich den Vormarsch gen Osten fortzusetzen. Heiß brennt die südliche Sonne vom Himmel und dort, wo pferdebespannte Einheiten ostwärts marschieren, steht über der Landschaft eine riesige Staubwolke.


Nase, Ohren und Uniform sind staubverkrustet, selbst die Augen sind vom Sand schmerzhaft entzündet. Um die Pferde zu schonen wird befohlen, daß die Pferde zu führen sind und alle Soldaten zu Fuß neben den Fahrzeugen zu marschieren haben.

Nach 3 anstrengenden Tagen erreicht die Marschspitze den Don. Auf dem rechten Ufer ziehen die Kolonnen nordostwärts. Der Marsch durch steppenartiges Gelände erschwert gewaltig den Vormarsch, denn bis zu 30 Zentimeter versinken die Räder der Fahrzeuge sowie die marschierenden Soldaten im tiefen Sand. Bald wird bekannt, daß unser Marschziel, das 500 Kilometer entfernte Stalingrad ist. Keiner hat Ahnung, was dies für jeden bedeutet. An Schlaf ist auf den Gewaltmärschen nicht zu denken. Mit dem rechten Arm im Steigbügelriemen des Reitpferdes eingehakt wird in den Nachtstunden während des Marsches nur für kurze Zeiten etwas dahingedöst. Mitte Monat Juni sind es nur noch etwa 30 Kilometer bis Stalingrad. Im Vorgelände westlich der Stadt hat die Rote Armee behelfsmäßige Verteidigungslinien bezogen. Durch heftigen Widerstand ist an ein Vorwärtskommen kaum noch zu denken. Schon nach wenigen Tagen ist hier wahrlich der Teufel los. Hunderte von Geschützen der deutschen Truppen feuern nur mit wenigen Pausen ihre Granaten auf die Stadt an der Wolga. Flugzeuge laden aus großen Höhen ihre todbringenden Bomben ab. Wenn es dunkel wird, ist der Horizont von der brennenden Stadt in ein dunkles Rot gehüllt. An Kommandeure sowie alle Soldaten wird der Befehl gegeben, ohne Rücksicht auf Verluste Stalingrad unbedingt einzunehmen. Als Funker in einem behelfsmäßigen Schützengraben fragen sich oft Günther und die Kameraden des Funktrupps, was hat das alles zu bedeuten? Was haben wir hier 3 000 Kilometer von der Heimat entfernt verloren? Sind die vielen Gefallenen wirklich für Volk und Vaterland gestorben? Antwort können wir wiederum nicht finden. Kilometer um Kilometer wird die Front näher an die Wolga vorgeschoben. Das Feuer der Roten Armee wird stärker und stärker. Mit Geschützen, Panzern und Maschinengewehren leisten sie einen heroischen Widerstand. Hunderte von deutschen Soldaten sterben hier fern der Heimat den Heldentod und Tausende werden als Verwundete in das Hinterland transportiert.

Mitte Monat September 1942 erhält Günthers Artillerieregiment plötzlich den Befehl, in 3 Stunden abmarschbereit zu sein. In aller Eile werden die Nachrichtenfahrzeuge bepackt, die Geschütze abgebaut und die Pferde gesattelt und geschirrt. Bei Eintritt der Dämmerung bewegen sich die langen Kolonnen in Richtung Süden. Es kreist die Parole, daß die russischen Truppen versuchen, die 6. Armee bei Stalingrad einzukesseln. Alle pferdebespannten Einheiten sind aus dem Gebiet der hart umkämpften Stadt abzuziehen.


Wieder stehen strapazenreiche Gewaltmärsche bevor. Nach Hundert Kilometern erreichen die Marschkolonnen den Don. Über eine Behelfsbrücke wird der Marsch nach Süden fortgesetzt. Bald trägt die Landschaft steppenartigen Charakter. Sand und. nochmals Sand, teilweise mit trockenen Gräsern bewachsen, so zeigt sich die Landschaft bis zum Horizont. Die Kalmyken-Steppe hat ihren Anfang genommen. Das schlimmste ist, daß es weit und breit kein Trinkwasser gibt. Nur aller 20 bis 30 Kilometer gibt es einen Süßwasserbrunnen, der jedoch nicht ausreicht, hunderten von Soldaten und Pferden den Durst zu stillen. Heiße Sonne und kein Wasser, das wird für Mensch und Tier unerträglich. Bereits nach 4 Tagen Marsch gehen die ersten Pferde keinen Schritt mehr vorwärts. Aus Mangel an Wasser und Futter verendet ein Pferd nach dem anderen. Bald liegen zu beiden Seiten der Marschroute die von der heißen Sonne aufgeblähten Kadaver der verendeten Pferde. Nach 6 Tagen Kampf mit dem tiefen Sand leuchtet plötzlich in der Ferne eine Stadt auf. Elista die Hauptstadt der Kalmyken liegt vor der Marschkolonne. Umringt von der heißen Steppe erheben sich in einer leichten Talsenke kleine und größere Häuser, die teilweise von Akazien umgeben sind. Fast die Hälfte aller Pferde ist in den vergangenen Tagen verendet und viele Soldaten sind infolge Darmerkrankung erheblich geschwächt. So erreicht Günthers Einheit die Stadt Elista. Obwohl es nicht eingeplant ist, muß für einige Tage der Marsch in Richtung Kaukasus unterbrochen werden. In der Steppe weiden hier und da einige Kamele. Sie werden eingefangen und anstatt von Pferden vor Fahrzeuge und Geschütze gespannt. Dabei gibt es manches Erlebnis, das nicht alles niedergeschrieben werden kann.


Etwas ausgeruht und gestärkt beginnt nach 4 Tagen Pause wieder der Marsch gen Süden. Bis zum Vorgelände des Kaukasus sind noch 400 Kilometer durch die Kalmyken-Steppe zu überwinden. Dicke Staubwolken von den Marschkolonnen aufgewirbelt, stehen über der ausgetrockneten Steppenlandschaft. Wieder quälen Durst und Hunger Mensch und Tier. Weitere Pferde verenden an diesen Strapazen.

Anfang Oktober geht endlich die eintönige Steppenlandschaft zu Ende. Leichte Bergketten, Wälder und kleine Dörfer lassen vermuten, daß die Vorberge des Kaukasus erreicht sind. Während des Marsches durch die Kalmyken-Steppe gab es keine Feindberührung. Doch hier in dem bergigen Gelände befinden sich überall russische Verteidigunsstellungen. Mit MG- und Granatwerferfeuer wird das weitere Vordringen der deutschen Truppen gestoppt. Aus dem Raum Rostow am Don sind inzwischen Infanterie- und Panzereinheiten eingetroffen. Es beginnt der Angriff auf Grosny und die Stadt Ordshonikidze. Höhenzug um Höhenzug muß im harten Kampf genommen werden.


Besonders am Fluß Terek leisten die russischen Truppen gewaltigen Widerstand. Eine Einheit von Raketenwerfern beschießt feindliche Stellungen und Dörfer mit Flammenöl-Raketen. Die Wirkung ist furchtbar. Überall liegen tote russische Soldaten und Zivilisten am ganzen Körper vom Flammenöl verbrannt. Wieder bäumt sich Günthers Gewissen auf. ,,Hat das noch etwas mit Menschlichkeit und Völkerrecht zu tun?" Nach tagelangen Kämpfen wird ein Höhenzug mit einem beeindruckendem Blick eingenommen. Nach einer weiten Ebene erheben sich ergreifend die schneebedeckten Bergriesen des Kaukasus. Wie ein Schneekegel ragt als zweithöchster Gipfel der Kaspek empor. Links davon liegt die große Stadt Ordshonikidze. Von hier beginnt die Grusinische Heerstraße durch den Kaukasus. Es wird bekannt, daß mit der Einnahme dieser Stadt und dem Ausgangspunkt der Grusinischen Heerstraße, der Weg frei wird zu den Ölfeldern von Baku. Auf Befehl der Obersten Heeresleitung soll die Stadt in wenigen Tagen eingenommen sein. Es werden Truppenverstärkungen herangeführt. Am 20. 10. 1942 beginnt die große Panzerschlacht um Ordshonikidze.


IÜber 700 deutsche Panzer gehen zum Angriff auf diese Stadt. Doch das Abwehrfeuer der russischen Truppen ist stärker als erwartet. Ein deutscher Panzer nach des anderen wird durch Pak-Geschütze getroffen und geht in Flammen auf. In einer zweitägigen Schlacht werden über 300 deutsche Panzer vernichtet, Ausgebrannt stehen sie in der weiten Ebene vor Ordshonikidze. Ohne Erfolg muß der Kampf abgebrochen werden.

nzwischen wird bekannt, daß russische Truppen den Ring um Stalingrad geschlossen und somit die 6. Armee eingekesselt haben. Das Schicksal dieser Armee unter Generalfeldmarschal Paulus ist somit besiegelt.

Die Lage der deutschen Truppen im Kaukasusgebiet wird immer bedrohlicher. So kommt am 31. 12. 1942 der Befehl zum Rückzug. Es ist vorgesehen, die Front jeweils 25 bis 30 Kilometer zurückzunehmen und dann die nachrückenden russischen Truppen wieder 2 bis 3 Tage aufzuhalten, bis sich die rückwärtigen Dienste genügend abgesetzt haben.

So beginnt auch für Günthers Artillerieregiment in der Neujahrsnacht 1942/43 der Rückzug in Richtung Nordwest. Nach 2 Tagen anstrengendem Marsch über hohe Bergrücken des Vorkaukasus beginnt plötzlich ein unerwarteter Schneesturm. Obwohl der Vollmond wie durch einen Nebelschleier sichtbar ist, treibt der starke Sturm aus Nordost gewaltige Schneemassen waagerecht über die Landschaft. Der Sturm ist so heftig, daß sich die Soldaten und Pferde kaum vorwärts bewegen können. Die dem Sturm zugewendete Seite ist schon nach kurzer Zeit bei Mensch und Tier mit einem fast cm dicken Eispanzer überzogen. Wieder geht es in den Nachtstunden bei diesem Wetter immer bergauf. Fahrzeuge bleiben sitzen und oft ist die Kette der Marschkolonnen abgerissen. Gegen 24.00 Uhr wird auf einer Anhöhe zwischen den Gebäuden eines Kolchos Halt gemacht. Die Pferde werden gefüttert und für die Soldaten heißer Tee ausgegeben. Nach 1 Stunde Rast wird der Befehl um Abmarsch erteilt. Trotz aller Versuche können die 4 Pferde des Sanitätswagens das Fahrzeug nicht in Bewegung setzen. Der Sturm tobt weiter und die Marschkolonnen setzen ihren Rückzug fort. Da erhält Günther als Unteroffizier vom Hauptmann den Befehl zurückzubleiben und mit dem Fahrzeug nachzukommen. Günther steht nun allein mit seinem Reitpferd, dem vierspännigen Sanitätswagen, einem deutschen Gefreiten als Fahrer und einem Hiwi (hilfswilliger russischer Bürger im Dienste der deutschen Armee). Nach Frei- schaufeln der Wagenräder versucht Günther mit der Peitsche die Pferde zum Anziehen des Fahrzeuges zu bringen. Diese sind durch den Schneesturm bei etwa Minus 10 Grad Temperatur unterkühlt und bewegen sich nicht von der Stelle. Da plötzlich kommt das linke Vorderpferd zu Fall und reißt 2 weitere zu Boden. Die Pferde werden ausgeschirrt und dennoch kommen sie nicht wieder auf die Beine und das 4. Pferd bewegt sich keinen Schritt von der Stelle. Inzwischen hat der Schneesturm die Spuren der abmarschierenden Fahrzeuge verweht. Kein Weg ist mehr zu sehen. Hier gibt es keine Hilfe mehr. Günther zieht seine Pistole und muß die 4 Pferde erschießen. Er nimmt eine Handgranate und setzt das Sanitätsfahrzeug in Brand. Schweren Schrittes und müde stampft Günther, sein Reitpferd am Zügel, über die unendlich scheinende weiße Ebene. Auf dem Pferd sitzt der deutsche Soldat. Er hat das linke Bein erfroren und kann nicht mehr auftreten. Der Hiwi hat sich bereits aus dem Staub gemacht. Nach Kompaß hält sich Günther strikt nach Nordwest. Gegen 3.00 Uhr nachts erscheint vor ihnen im Schneetreiben etwas Dunkles. Sie kommen an einem Strohschober vorbei. Günther entschließt sich, hier bis zum Morgengrauen zu warten. Auf der Gegenseite der Sturmrichtung graben sich beide eine Mulde in das Stroh und binden das Reitpferd an eine dort stehende Maschine fest. Vor Kälte finden beide jedoch keinen Schlaf. Gegen 8.00 Uhr morgens wird es allmählich hell und der heftige Schneesturm läßt nach. Sein Kamerad, der Gefreite, stöhnt vor Schmerzen. Das erfrorene Bein kann er nicht mehr bewegen. So setzt er sich wieder auf das Reitpferd, und dann marschieren beide in Richtung Nordwesten über die unendlich weite Fläche. Nach einer Stunde haben sie auf der linken Seite in einer Talsenke einen erschütternden Anblick. Die Marschkolonne seiner Einheit mit etwa 40 Fahrzeugen ist hier im Schneesturm steckengeblieben. Der Großteil der Pferde liegt im Schnee. Viele sind vom Sturm bereits zugeweht. Auf einigen Fahrzeugen sitzen die Fahrer erfroren, als lebten sie noch. Hier und da bewegt sich ein Arm aus den weißen Schneemassen. Helfen können die zwei hier nicht mehr. Um Hilfe für einige noch zu bringen, muß schnell ein Dorf erreicht werden. So bewegen sie sich tiefbewegt in der alten Marschrichtung weiter. Gegen 11.00 Uhr kommt endlich ein Dorf in Sicht. Ist dies von russischen Truppen besetzt, oder sind hier noch deutsche Soldaten? Das ist die große Frage. Vorsichtig nähern sie sich den ersten Häusern. Da wird der erste deutsche Soldat sichtbar. Im Regimentsstab wird von dem Erlebten berichtet. Wenige Minuten später fährt ein LKW in Richtung Talsenke, um vielleicht noch Lebende zu retten.

Innerhalb eines Tages werden die noch marschfähigen Truppenteile neu formiert. Günther wird einer anderen Nachrichteneinheit zugeteilt, da seine Abteilung bis auf wenige Ausnahmen im Schneesturm den Tod fand. Am folgenden Tag setzt das stark dezimierte Regiment den Rückzug fort.

Bevor in der Neujahrsnacht der Rückzug begann, hatte der Oberbefehlshaber der Armee auf Weisung Hitlers den Befehl erlassen, während des Rückzuges alles niederzubrennen, zu sprengen und zu vernichten, damit nur Land der verbrannten Erde zurückbleibt. So werden von Pioniereinheiten alle Brücken gesprengt sowie Bahnhöfe und Schienenstränge in die Luft gejagt. Mit Flammenwerfern werden sogar Kolchosen, Dörfer und Städte ein Raub der Flammen. Immer wieder quält Günther der Gedanke, was soll einmal werden, wenn der Krieg verloren geht und diese Menschen und Völker Gleiches mit Gleichen vergelten. Ein Alpdruck bemächtigt ihn. Während sie stumpfsinnig durch den tiefen Schnee nordwärts stampfen, lassen ihn diese quälenden Gedanken nicht mehr los. Nach 15 Tagen Strapazen und fast ohne Schlaf passieren die zurückweichenden Truppen die bekannte Stadt Pjadigorsk. Die Stadt ist zu beiden Seiten der Marschstraße ein Flammenmeer. Pioniereinheiten haben die vorwiegend aus Holzhäusern bestehende Stadt in Brand gesetzt. Da wieder ein starker Nordostwind weht, springen die Flammen von einem Haus auf das andere über. Schreiend und wehklagend rennen Frauen und Kinder durch die brennenden Gassen.

Bei 20 cm Schnee und 10 Grad Kälte ziehen sich die deutschen Truppen Stück für Stück aus dem Kaukasusgebiet zurück. Teilweise erschweren russische Partisaneneinheiten den Rückzug. Am 20. Februar passieren die letzten Truppenteile die Stadt Amawir.

Plötzlich tritt unerwartet Tauwetter ein. Die Temperaturen steigen auf Plus 10 Grad und es regnet in Strömen. Durch die marschierenden Kolonnen werden unbefestigte Straßen und Feldwege zu einem tiefen Morast. Oft versinken die pferdebespannten Fahrzeuge bis an die Achsen im Schlamm. Bleibt ein Wagen stecken, müssen die Soldaten in die Räder greifen. Bald ist jeder vom Kopf bis Fuß vom Schlamm überzogen. Die Stiefel sind total durchnäßt. An ein Ausziehen ist in den nächsten Wochen nicht mehr zu denken. Jeder weiß, daß sich die aufgeweichten Stiefel niemals wieder anziehen lassen.

Nur noch leicht hügliges Gelände kennzeichnet die Landschaft. Bald liegen die unendlichen Ebenen um Krasnodar vor den zurückflutenden Truppen. Es wird bekannt, daß an der Meerenge von Kertach an der Mündung des Kuban in das Assowsche-Meer ein großer Brückenkopf gebildet wird. Er soll so lange gehalten werden, bis alle Truppenteile auf die Insel Krim übergesetzt sind. Am 5. März 1943 erhält Günther den Befehl, sich ausgerüstet mit Scherenfernrohr auf dem neuen Regimentsgefechtstand am Kubanbrückenkopf zu melden. Karten werden ihm in die Hand gedrückt. Mit seinem Schimmel, namens "Harras" macht er sich auf den circa 30 Kilometer entfernten Weg. Ihm wird empfohlen, nicht die Hauptrückzugswege zu benutzen, da ein Vorwärtskommen dort nicht möglich ist. Südwesetlich von Krasnodar erstreckt sich ein riesiges Reisanbaugebiet. Auf den erhöhten Wegen, die sich oft Kilometerlang geradlinig dahinziehen, wird ein schnelleres Vorwärtskommen sicher möglich. In größeren Abständen ist auf diesen Wegen nur lediglich einmal ein Militärfahrzeug zu überholen. Plötzlich schlagen links und rechts der schmalen Straße in etwa 50 Meter Entfernung Granaten ein. Günther beschleunigt das Tempo. Im schnellen Trab eilen er und sein Schimmel in Richtung Kubanbrückenkopf. Plötzlich schlägt unmittelbar hinter Reiter und Pferd eine Granate ein. Günther spürt einen heftigen Schlag gegen seinen Rücken und im selben Augenblick sinkt sein "Harras" mit zerschmettertem Hinterteil zu Boden. Der rechte Stiefel hängt im Steigbügel fest, so liegt das wild um sich schlagende Pferd auf Günthers rechtem Bein und Oberschenkel. Noch einmal bäumt sich das Tier vor Schmerzen mit seinen Vorderbeinen in die Höhe. Günther gelingt es, das rechte Bein aus dem Steigbügel zu befreien und dann fällt der treue Kamerad, sein Schimmel, sterbend zur Seite. Erst jetzt spürt Günther, daß auch er durch Granatsplitter getroffen ist. Heiß läuft das Blut den Rücken hinab und die Schmerzen werden immer heftiger. Auf allen Vieren kriecht er in eine Vertiefung unmittelbar Weg, Was soll nun werden? Kurze Zeit später eilt in Panjewagen mit 2 Soldaten und 2 kleinen Panjepferden vorüber.


Günther richtet sieh etwas auf und macht mit lauter Stimme auf sich aufmerksam. Der Panjewagen hält, die beiden Soldaten heben Günther auf den Wagen und dann fahren sie in schnellem Tempo weiter in Richtung Westen. Bei jeder Erschütterung könnte der Verwundete laut aufschreien. Doch es geht um Leben oder Tod.

Nach 2 Stunden holpriger Fahrt durchfährt der Panjewagen eine große Ortschaft. Ein Schild an der Dorfstraße zeigt zum Hauptverbandsplatz. Die beiden Soldauen bringen den Verwundeten dort hin. In einer langen Baracke und einigen Zelten werden Hunderte von Verwundeten verbunden bzw. operiert. Günther kommt in den primitiv eingerichteten Operationsraum. 2 Ärzte versuchen bei örtlicher Betäubung die Splitter aus dem Körper zu entfernen. Sie sind jedoch zu tief eingedrungen, so wird die schmerzhafte Operation abgebrochen. Überall in den Gängen liegen stöhnend und jammernd viele Schwerverwundete, die dringend auf Hilfe warten. In der folgenden Nacht bringt ein Schiff die Verwundeten über die Meerenge von Kertsch und bald fährt ein langer Lazarettzug über Simferopol. in Richtung Heimat. Günther hat das Glück: mit dabei zu sein. Nach 4 Tagen Fahrt ist in Troppau im Sudetenland Endstation. In einem großen Lazarett wird versucht, die vielen Verwundeten schnellstens zu heilen, denn die Front braucht dringend Soldaten.

4 Monate dauert die Heilung Günthers Verwundung. Im August 1943 wird er entlassen. Nach zweieinhalb Jahren gibt es endlich wieder einmal Heimaturlaub. Groß ist natürlich die Freude seiner Angehörigen.

 
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  Erstellt am 11.11.2013